In meinem vorangegangenen Artikel Vom Wert des Beobachtens habe ich mich mit der Herangehensweise an wirksame Veränderung beschäftigt. Da Coaching nicht ohne den Coach auskommt ist es mir ebenso wichtig, mich mit dem Selbstverständnis des Coaches zu beschäftigen.
Coach oder Berater?
Das ist für mich schwierig zu definieren, da keiner der beiden Begriffe aus meiner Sicht passt. Klassisches Coaching findet eigentlich auf der psychologischen Ebene des Coachees statt. Beratung steht für mich für eine einkaufbare Leistung, wo ich jemanden bezahle, der mein Problem löst. Vor Ort beim Kunden bin ich oft Trainer, Coach und Berater in einer Person (vielleicht noch vieles mehr), was eine Trennschärfe weiter erschwert.
Ist Coaching einer Organisation überhaupt möglich? Erst einmal nein, da immer nur Menschen gecoached werden können. Wenn aber die Organisation, ähnlich wie ein Mensch, zu Einsichten gelangen und sich selber helfen soll, so wie es im vorherigen Beitrag beschrieben wurde? Für mich ist die Parallele hier zum Coaching größer als zur Beratung, weshalb ich mich mangels besserer Vokabeln als Coach fühle.
Sinnvoll wäre hier die Unterscheidung nach einem persönlichen Coach und einem organisations Coach. Ich sehe mich als Letzteres und lasse jedoch im Folgenden den Zusatz der Einfachheit halber weg.
Was ich für mich aus dem Wert des Beobachtens ableite
Ich habe für mich beschlossen: Beobachter sein, nicht den Anzug von der Stange verkaufen, als Coach nichts erzwingen wollen. Dinge offensichtlich und besprechbar machen, die dann zu Einsichten in nicht zielführendes Verhalten der Organisation führen. Und dadurch zu nachhaltigem, veränderungswirksamen Handeln befähigen.
Erst wenn dann die Frage kommt, wie genau es gemacht werden soll, dann den Werkzeugkoffer aufmachen. Erst ab hier startet der klassische Beraterauftrag.
Am System arbeiten, nicht im System
Ich merke, wie sehr mir diese Denkweise bei meiner Arbeit hilft. Erst einmal mich selbst schützt und vor Enttäuschung bewahrt. Denn, wenn man versteht, wieso alles so ist, wie es ist, dann schläft es sich besser. Und Beratung wird auch dadurch wirksamer. Aber es braucht viel Mut, denn Auftraggeber sind sehr gut darin, einen Berater unwirksam zu machen, indem sie ihn in ihre Muster und Kultur hineinziehen. Dass sie eigentlich einen Coach brauchen statt dem Berater, ist den wenigsten bewusst.
Ich habe mein fehlendes i-Tüpfelchen damit gefunden, auch wenn es noch nicht perfektioniert ist.
5 Kriterien zur Selbstreflexion
Das Hephaistos Institut empfiehlt, sich ständig zu hinterfragen. Es gibt dafür 5 Kriterien:
- Affektive Resonanz: Mit dem Bauch zuhören und Empathie. Achte ich auf meine Gefühle beim Beobachten einer Situation?
- Theoretische Haltung: Wie fit bin ich in Grundlagen der Organisationsdynamik?
- Heuristik: Arbeite ich mit Bildern und Metaphern, gelingt es mir eine Geschichte über das Beobachtete zu erzählen?
- Kundenbeziehung: Wie ist das Beratungsmandat gestaltet? Habe ich den passenden Auftrag?
- Auftragsbearbeitung: Überprüfe ich mich selbst in dem was ich tue?
Zu all diesen Kriterien wird es in Beiträgen auf dieser Seite bald mehr zu lesen geben.
Der Darwin-Award der Veränderung
Mal kritisch gedacht: Es ist schade, dass wir in unserer westlichen Erziehung so geprägt sind, dass das Beobachten keinen Wert hat. Wie oft höre ich, dass man schon anzupacken habe! Es ist so tief in uns verwurzelt, dass man durch (Helden-) Taten ändern muss. Die Erwartungshaltung an den Aktionismus des Retters schränkt dessen Wirksamkeit aber massiv ein. Erkenntnisse sind doch der viel größere Hebel. Oder?
In unzähligen Fällen entzieht sich ein Auftraggeber hier selbst dem “Genpool” einer gesunden, sich selbst verbessernden Organisation und setzt sich mit dieser Erwartungshaltung den ersten Spatenstich seines eigenen Grabes.
Meine Vision
Im Umkehrschluss ist die beschriebene Art zu beobachten eben gerade auch eine Form des Anpackens!
Es erfordert Empathie, Geschichtenerzählen, Fingerspitzengefühl, Kommunikationsgabe, Moderation, Konfliktmanagement und vieles mehr. Es Bedarf also viel Erfahrung, Können und Handwerkszeug!
Ich denke, die Welt braucht noch ein Wort für diese Art des Beobachtens, die zwischen Coaching und Beratung, zwischen Mensch und Organisation liegt. Ich nenne es momentan Veränderungswirksamkeit. Aber es liegt schon ein wenig schwer auf der Zunge.
Nach einer solchen Art von organisatorischem Coaching suche ich. Es ersetzt nichts, was wir bisher gelernt haben. Alles, was wir z.B. mit agilem Mindset eingeführt haben, ist weiter richtig. Ja, selbst in der Agilität kommt das Beobachten ja sogar vor (z.B. bei den GoSee Ansätzen oder dem systemischen Denken)! Praktisch tun wir es nur selten. Und wir haben dazu das Handwerkszeug nicht.
Ich bin auf der Suche. Meine Ausbildung zum Organisationsentwickler unterstützt mich dabei und mein Blog soll eine Plattform werden, um mit Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen.